So leidet der Bergwald unter der Dürre
Zu den Hauptleidtragenden des sehr heissen und extrem trockenen Sommers gehören der Wald und insbesondere der Bergwald, dessen Schutzleistungen für die Bevölkerung immer mehr in Gefahr geraten. Experte Martin Kreiliger sagt, was nun getan werden muss.
Die anhaltende Hitze und Trockenheit machen Landwirtschaft, Natur und Wald zu schaffen: Bereits seit einem halben Jahr hat es in der Schweiz nicht mehr genug geregnet. «Wir befinden uns in einer ausserordentlichen und auch riskanten Situation», sagt Martin Kreiliger, Geschäftsführer des Schweizer Bergwaldprojekts. «Uns Experten beunruhigt es, dass sich die Verhältnisse hin zu extremer Wärme und Trockenheit so schnell ändern.»
Trockene oder auch heisse Phasen habe es zwar immer wieder gegeben. Doch eine derart lang anhaltende Dürre und Hitze sei ein ganz anderes Kaliber. «In Disentis auf über 1100 Metern über Meer hatten wir bereits im Mai über 27 Grad», so der Forstingenieur. «Und auf 4000 Metern war es über eine ungewohnt lange Zeit über null Grad warm.»
Was für uns angenehm ist, weil wir den ganzen Sommer in Shorts und Sandalen unterwegs sein können, setzt insbesondere dem Bergwald stark zu. «Man sieht jetzt schon Bäume, deren Laub braun wird – zwei Monate zu früh. Oder Nadelbäume, die mehr Jahrgänge als normal an Nadeln abwerfen. Vielerorts habe es einige Bäume, die sogar schon dürr seien, sagt Kreiliger, der in seiner Funktion als Waldschützer viel in der Schweiz herumkommt. «Besonders betroffen sind Gegenden wie das südliche Graubünden, das Tessin, der Jura und das Unterwallis. Kürzlich sah ich zum Beispiel bei Sierre einen Wald, der bereits mitten im Sommer zu grossen Teilen das Laub verfärbt oder abgeworfen hat wie im Herbst. Das stimmte mich sehr nachdenklich.»
Der Wald ist gestresst und wechselt in den Sparmodus
Nebst den offensichtlichen, akuten Schäden hat diese Entwicklung weitreichendere Auswirkungen auf das Ökosystem Wald. So sorgen die früh abgeworfenen Blätter dafür, dass die so wichtige Photosynthese nicht im gewohnten Ausmass stattfinden kann, was sich wiederum negativ aufs Klima auswirkt. Und auch die Holzproduktion der Bäume kommt ins Stocken, da sich das Wachstum verlangsamt. «Der Baum ist zwar ein langlebiger Organismus und ist sich gewöhnt, einiges auszuhalten», sagt Kreiliger. «So kann er auch nach Frostperioden wieder ausschlagen. Doch in Phasen wie jetzt geht er in eine Art Sparmodus und wartet auf bessere Zeiten.»
Hält dieser Stress über Jahre an, schadet das dem Wald nachhaltig. Besonders, weil die Widerstandskraft je nach Baumart unterschiedlich ist, wie der Fachmann zu bedenken gibt. Manche Sorten hätten der aktuellen Klimalage wenig entgegenzusetzen, darunter etwa die Buche oder die Fichte. Diese Gewächse seien auch anfälliger für Schädlinge wie den Borkenkäfer, der jetzt wieder vermehrt aufkomme. «Dieser gibt dem Baum dann den Rest», so Kreiliger. Zwar habe man derzeit noch keinen ausserordentlichen Befall festgestellt. «Aber der kann aufgrund der Situation jederzeit auftreten.»
Das Dilemma: Unmittelbar etwas gegen die herrschende Dürre unternehmen lässt sich nicht. «Wir können ja nicht den Wald giessen», bringt der Bündner die aktuelle Hilflosigkeit auf den Punkt. Auch die Regengüsse, die es bei den eher seltenen Gewittern gebe, seien nur ein Tropfen auf den heissen Stein. «Bei lang anhaltender Trockenheit läuft das Wasser oberflächlich ab. Es dringt gar nicht oder dann nur in die oberste Erdschicht und nicht bis zu den Wurzeln der Bäume durch.»
Das Baum-Portfolio muss neu gedacht werden
Im Rahmen des Bergwaldprojekts können Kreiliger und Co. aber mittel- und langfristig die Weichen stellen: für einen Bergwald, der auch in 80 Jahren noch zukunftsfähig ist – so lange dauert es im Minimum, bis ein Baum ausgewachsen ist. «Wir setzen momentan alles auf eine Karte und gehen davon aus, dass die Verhältnisse künftig deutlich wärmer werden.»
Dazu gehört auch der Anbau von Baumarten, die mit den veränderten klimatischen Bedingungen besser zurechtkommen und die man in Bergwäldern bis dato noch nicht häufig gesehen hat, weil sie aus wirtschaftlichen Gründen eher verschmäht wurden. Etwa Birken – deren Holz lapidar als «Abfall» bezeichnet wurde – sowie Weiden, Zitterpappeln, Spitzahorn, Linde oder Esche zählen dazu. Auch Pionierbaumarten wie die Vogelbeere kommen infrage. «Das Portfolio an Baumarten ist ein sehr wichtiger Punkt», sagt Kreiliger. «So kann das Risiko – fast wie an der Börse – minimiert werden.»
Künftig drastisch zurückgehen dürfte in den Bergregionen der Nadelbaumbestand. Insgesamt werde sich die Schweizer Waldlandschaft mittelfristig stark verändern. Laut Kreiliger werden die Waldtypen quasi bergwärts «wandern». Die Waldgrenze verschiebt sich nach oben und Baumtypen, wie wir sie eher aus dem Flachland kannten, werden in höheren Lagen anzutreffen sein.
Wild hat es auf widerstandsfähige Gewächse abgesehen
Die Veränderung in Sachen Wald hat auch Einfluss auf die Arbeit der Fachleute. So haben erste Förster damit begonnen, Jungbäume im Herbst zu pflanzen, weil sich die Wurzeln dann besser etablieren können als im zunehmend trockeneren Frühling/Sommer.
Und noch einen Punkt gibt es im Rahmen der Bergwaldhilfe zu bedenken: Schalenwild wie Hirsche, Rehe oder Gämsen haben eine Vorliebe für ausgerechnet diese widerstandsfähigen Baumarten – Föhren, Eichen, Linden oder Weisstannen. Letztere sind bei den Tieren wegen der weichen Nadeln beliebt. Sie müssen deshalb besonders in der Jugend oder nach dem Anpflanzen geschützt werden, wie es im Rahmen eines Bergwaldprojekts im Kanton Glarus geschah: Freiwillige erneuerten während einer Einsatzwoche total 121 Zäune.
Martin Kreiliger ist stolz auf diese und noch folgende Einsätze all dieser helfenden Hände. «Was wir tun, ist relevant und anspruchsvoll», sagt er. «Es geht darum, dass wir Verantwortung übernehmen für das Ökosystem Wald.» Und dafür, dass der Bergwald seine so wichtige Funktion als Schutzwald auch weiterhin erfüllen kann.